Priest

Gestern war ein besonderer Tag. Marzena hatte mir versprochen, mich in die Bibliothek der theologischen Universität mitzunehmen und mir dort einen ruhigen Platz zum Arbeiten zu verschaffen, weil der Baulärm hier vor dem Haus eher zu- als abnimmt. Wir verabredeten uns im Außen-Cafe der theologischen Universität. Marzena hatte an diesem Tag Prüfungen und so traf ich dort nicht nur sie, sondern auch zwei angehende Priester sowie einen Mönch an, die sich gerade fleißig auf das Examen vorbereiteten, letzte Fragen durchsprachen und Wasser tranken. Diese Begegnung beeindruckte mich sehr. Der Mönch trug eine braune Kutte mit einem dicken Strick um den Bauch und einer der Priester warf wegen der Hitze sein schwarzes Gewand von sich und übrig blieb ein graues T-Shirt mit einem Fußballaufdruck. Der Mönch tat mir fast leid, denn es war wie immer die letzten Tage hier sehr heiß und ich stellte mir vor, wie er schwitzen musste in seiner Kluft. Alle waren gut gelaunt und plauderten munter über Dinge, die ich nicht verstand. Nur ab und zu schälten sich verständliche Worte heraus: Jesus, Katholik, Jerusalem... Schließlich zeigte mir Marzena die Bibliothek, ein altehrwürdiges Gebäude mit gotischen Kreuzgängen und einem Fahrstuhl, der extra für einen Papstbesuch eingebuat worden war. Leider war der Papst dann gar nicht erschienen. In der Anmeldung wieder ein Geistlicher in Robe, den Marzena auf mich aufmerksam machte, ihm erklärte, was wir vorhatten und der uns mit einem strahlenden Lächeln durchwinkte. Die Bibliothek selbst atmete Geschichte und altes Papier. Im Lesesaal viele Tische, alle leer. Ich atmete tief durch, denn die Stille in diesem Raum war eine Wohltat nach dem ewigen Lärm der Stadt. Überall Bücher religiösen Inhalts, alte Schriften und neuere Texte. Für mich als erklärten Agnostiker eine beeindruckende Szenerie. Schließlich gingen wir wieder zurück zu den Mitstudenten Marzenas im Cafe. Mittlerweile waren ein paar Frauen hinzugestoßen und man unterhielt sich lebhaft. Als Marzena zurück ins Gebäude zu ihren Studien musste, machte ich noch einen Spaziergang in die Stadt, aß im "Mama Manousch" die erste Muschelsuppe meines Lebens und machte mich dann auf den Rückweg. Am Abend war Marzena hier im Haus, ich wurde zum gemeinsamen Abendessen eingeladen und genoss zusammen mit Marzena, Maria und Marek ein liebevoll zubereitetes Abendmahl. Wieder sprachen wir über Gott und die Welt und schließlich kam die Sprache auf den zweiten Weltkrieg, auf Sophie Scholl, auf Hitler. Maria und Marzena wollten wissen, wie Hitler in Deutschland gesehen wird. Die Antwort fiel mir schwer, weil sie nicht eindeutig ist. Komplexe Fragen zu beantworten, wenn man sich nur notdürftig verszändigen kann, ist eine Herausforderung. Ich wurde darüber belehrt, dass meine persönlichen Schuldgefühle in dieser Sache unbegründet seien. In Polen wüsste man, dass deutsche Soldaten zum Teil in den Krieg gezwungen wurden. Zudem betrachte man diese Zeit als Vergangenheit. Auch gegenseitige Vorurteile wurden thematisiert und ich erfuhr, dass die Polen gern die Ordnung und den Perfektionismus der Deutschen hätten, dies aber schwierig für sie sei. Der Abend klang bei einem Tee aus und wieder war ich angenehm überrascht von der inneren Ruhe und Gelassenheit, die über allem lag. Nach einem Tag voller positiver Gespräche und Eindrücke ging ich zufrieden ins Bett. Wieder etwas dazu gelernt!

 

P.S. Seit vorgestern habe ich endlich Internet auf meinem Zimmer. Marek hat extra einen zusätzlichen Router gekauft und installieren lassen. Eine Freude!